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Date Posted: Wed, 26 May 2004, 15:57:57
Author: shadow
Subject: Suizidwelle an US-Unis

"Leistung, Leistung, Leistung"

An amerikanischen Universitäten herrscht eine ziemlich lockere Atmosphäre - auf den ersten Blick. Doch immer mehr US-Studenten zerbrechen unter psychischem Druck, auf dem Campus häufen sich die Selbstmorde.

Gerade mal 19 Jahre alt war Diana Chien, ein aufgewecktes, hübsches Mädchen aus dem kalifornischen Cupertino. Diana hatte alles, wovon ein Teenager träumen kann: einen Studienplatz an einer guten Uni des Landes, jede Menge Freundinnen, sportlichen Erfolg, einen vermögenden und großzügigen Vater - einen attraktiven Freund.

Doch nach einem Streit mit ihrem Freund sprang die Studentin der New York University (NYU) Anfang März von einem Hochhaus in Manhattan - jüngstes Todesopfer einer Suizidwelle, die seit Jahren amerikanische Universitäten erfasst hat. Allein an der NYU haben in diesem Studienjahr schon vier Studenten den Freitod gewählt. In Harvard waren es in den letzten zehn Jahren mindestens 16, in Berkeley 17 seit 1993, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge in 14 Jahren 12.

Schlagzeilen machte der Fall der 19-jährigen Studentin Elizabeth Shin, die sich im MIT-Wohnheim selbst anzündete. Ihre Eltern haben die Uni auf 27 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt.

Selbstmord zweithäufigste Todesursache

Landesweit ist Suizid nach Angaben der National Mental Health Association inzwischen die zweithäufigste Todesursache unter Studenten - auf 100.000 Hochschüler kommen jedes Jahr 7,5 Suizide. Nur durch Unfälle verlieren noch mehr Nachwuchsakademiker in den Staaten ihr Leben. In Wahrheit dürfte die Zahl der Suizide wesentlich höher sein, da "in vielen Fällen nicht eindeutig zu erfassen ist, ob es sich tatsächlich um Freitod handelt, weil Suizide außerhalb des Campus und während der Semesterferien oftmals nicht eingerechnet werden", erklärt Alejandro Martinez, Direktor des Beratungszentrums CAPS (Counseling and Psychological Services) an der Stanford-Uni in Kalifornien.

Erhebungen der American College Health Association zeigen, dass mehr als 9 Prozent aller Studenten im Studienjahr 2002/2003 mindestens einmal ernsthaft mit dem Gedanken gespielt haben, sich das Leben zu nehmen; 1,3 Prozent haben einen oder mehrere Selbstmordversuche unternommen. "Die Situation ist sehr beängstigend", sagt Alan Siegel, Chef der Mental Health Services am MIT. "Vor allem, wenn man berücksichtigt, wie massiv die Nachfrage von Studenten mit schweren psychologischen Problemen nach Beratung am Campus in den letzten zehn Jahren angestiegen ist."

In Harvard etwa besuchen jedes Jahr rund 1900 Studenten einen Universitätspsychologen - vor allem wegen schwerer Depressionen, aber auch, weil sie unter Essstörungen, Examensängsten oder sozialen Problemen leiden.

Prozac auf dem Campus

In Berkeley bitten sogar 4000 jährlich um Psycho-Hilfe, ein Zehntel aller Kommilitonen. "Es ist erschreckend, wie viele Studenten heute starke Antidepressiva wie Zoloft oder Prozac nehmen", klagt CAPS-Direktor Martinez, der seit 1979 in Stanford arbeitet.

"Was ist bloß los mit den amerikanischen Studenten?", fragen sich überforderte Uni-Psychologen und -Therapeuten. Zu viel akademischer Stress? Exzessiver Alkohol- oder Drogenmissbrauch? Zu hoher Erwartungsdruck von Seiten der Familien, die oft einen Großteil ihres Einkommens für die horrenden Studiengebühren aufwenden? Sind viele junge Leute psychisch labil? "Die Ursachenforschung ist ein sehr schwieriges Terrain, wo es wesentlich einfacher ist, Schuldzuweisungen zu machen, als konstruktive Antworten zu geben", glaubt Martinez. "Ich denke, all diese Faktoren müssen berücksichtigt werden."

Vivian Boyd, Direktorin der psychologischen Beratungsstelle an der Universität von Maryland, nennt den generellen Stress in der Gesellschaft, die Informationsflut und ein weit verbreitetes Gefühl der Isolation als Hauptfaktoren. Berkeley-Psychologe Jeff Prince und sein MIT-Kollege Siegel begründen den wachsenden Zulauf von Rat Suchenden damit, dass der Besuch beim Psychologen inzwischen gesellschaftlich weitgehend akzeptiert sei. "Genaue Daten dazu gibt es aber nicht", räumt Siegel ein.

"Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert", meint auch Ron Gibori von der Jed Foundation, einer Organisation zur Vorbeugung von Selbstmorden unter Studenten. "Es wird mittlerweile akzeptiert, dass auch Teenager unter Depressionen leiden."

Psychische Krankheit als Stigma

Dem widersprechen zahlreiche Studenten, insbesondere an Elite-Unis. "An einer Kaderschmiede wie Harvard haftet psychischen Krankheiten nach wie vor ein Stigma an", betont Kristin Waller, die an der Fakultät für Arts & Sciences eingeschrieben ist. Obwohl Waller schon seit frühester Kindheit in psychologischer Behandlung ist und mehrfach Suizidversuche unternommen hat, war es selbst für sie schwer, sich in Harvard einem Therapeuten anzuvertrauen. "Dabei gibt es hier definitiv ein großes Problem mit Depressionen."

Auch Michael Endler, Englisch- und Filmstudent in Stanford, weiß aus eigener Erfahrung: "Die Angst ist riesig, als 'Psycho' abgestempelt zu werden." Endler ist in seinem Wohnheim als Resident Assistant mit den Sorgen vieler Kommilitonen vertraut.

Mike LeBeau, der vergangenen Herbst von der Universität Chicago nach Stanford wechselte, assistiert: "In Stanford, wo oberflächlich stets eine ziemlich lockere Atmosphäre herrscht, ist es ganz besonders schwer, ein mentales Problem oder Depressionen zuzugeben."

Umfragen zeigen, dass nach wie vor 30 Prozent der Stanford-Studenten trotz schwerer psychologischer Probleme nicht die Hilfe eines Experten in Anspruch nehmen würden. LeBeau: "Praktisch jeder tut hier so, als wäre er immer gut gelaunt und würde überhaupt nicht arbeiten - dabei hängen sich alle wahnsinnig rein."

Enttäuschung ist vorprogrammiert

"Leistung, Leistung, Leistung ist für den Großteil der Studenten an Top-Hochschulen heutzutage das Allerwichtigste", sagt auch Martinez. Bei all dem Stress bleibe "weder Platz für Versagen noch Zeit zum Entspannen" - und so seien die Studenten selbst ihr größtes Problem: "Der Crash ist vielfach programmiert, was dann etwa nach einer Enttäuschung mit der ersten Liebe zu einer Tragödie wie bei Diana Chien führen kann."

Zusätzlichen Druck erzeuge das raue Wirtschaftsklima. Viele Studenten machen sich nach Einschätzung von Martinez große Sorgen, ob sie nach einem prestigeträchtigen Abschluss auch einen entsprechend hochkarätigen Arbeitsplatz ergattern können. Selbst ein MBA-Abschluss von einer Elite-Hochschule ist längst kein Garant mehr für eine Stelle: Studien zufolge bekommen nur noch drei von vier MBA-Absolventen überhaupt einen Job. Nach dem teuren Studium - ein Jahr Stanford verschlingt etwa 40 000 Dollar - kellnern immer mehr Absolventen von Kaderschmieden erst einmal oder buckeln als Praktikanten für Minilöhne.

"Der psychische Zustand der Stanford-Studenten dürfte also noch viel kritischer sein, als die Statistiken und der enorme Zulauf bei den Uni-Psychologen vermuten lassen", glaubt Brett Lockspeiser von "The Bridge", einer Beratungsstelle von Studenten für Studenten. "Wir arbeiten sehr hart daran, Aufklärungsarbeit zu leisten und Vertrauen zu schaffen, damit sich noch mehr Studenten mit ihren Problemen öffnen und entweder zu uns in Selbsthilfe-Workshops kommen oder sich an CAPS wenden."

Lockspeiser und die anderen 30 ehrenamtlichen "Bridge"-Mitstreiter haben eine 24-Stunden-Krisen-Hotline eingerichtet, die heftig frequentiert wird. Unter den Anrufern "sind auch immer wieder Kommilitonen, die ihren Freitod ankündigen", sagt Sara Bonnell, die mit drei Kommilitonen im "Bridge"-Haus auf dem Stanford-Campus lebt und mit diesen im Wechsel die Telefon-Seelsorge betreut.

Besonders sorgsam kümmert sich "The Bridge" um Studienanfänger, die offenbar unter doppelt großem Stress leiden. "Die meisten ,Freshmen'", so Lockspeiser, "haben weit weg von zu Hause schwer damit zu kämpfen, dass sie unter so vielen anderen Hochbegabten zum ersten Mal in ihrem Leben nur zum Durchschnitt zählen."

Auch der Filmstudent Endler war erst einmal geschockt: An seiner Highschool zählte er zu den Jahrgangsbesten - in Stanford aber sackte er prompt ins Mittelfeld ab. Endler: "Keine schöne Erfahrung, aber sicher eine wichtige."

Quelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,295524,00.html

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