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Date Posted: 06:33:00 10/11/01 Thu
Author: Unwichtig
Subject: ein Lebenslauf

PERSÖNLICHE DATEN: Mein Manko ist wohl ,dass ich immer versuche so ehrlich wie möglich zu sein .Geboren wurde ich am 10.April 1965 in Leverkusen .Mein Vater war Chemiearbeiter ,meine Mutter putzte Schulen, später dann eine Kneipe. Wenn meine Mutter mich mit einem Schlüssel um den Hals in den Sandkasten steckte um Arbeiten zu gehen ,dann weinte ich manchmal....


AUSBILDUNGSDATEN
1970-1971 Kindergarten in Leverkusen .Hier erfuhr ich das erste mal ,dass von den anderen Mitbürgern dieser Erde ein ziemliches Gewaltpotential ausgeht .Egal ob es um ein Spielzeug im Kindergarten oder um das Wegerecht auf dem Weg zu diesem ging.
1971-1972 Ich sollte eingeschult werden .Mein Körper rebellierte .Was ich an miesen Erfahrungen im Kindergarten gemacht habe hat mir eigentlich schon gereicht. Und jetzt sollte also wirklich der Ernst des Lebens beginnen? War das ganze nicht schon Ernst genug ?Ich behielt keine Nahrung mehr bei mir. Die Ärzte im Krankenhaus standen vor einem Rätsel .Um sich nicht ganz die Blöße zu geben entfernte man mir kurzerhand den Blinddarm .Bis dahin hatte das erste Schuljahr schon begonnen und ich wurde ,als es mir besser ging beim Schulkindergarten
angemeldet .Dort stellte man fest ,dass ich Linkshänder bin.
1972-1976 Grundschule in Leverkusen .Es wurden Unterschiede gemacht zwischen den Kindern der „besseren“ Familien und uns „Arbeiterkindern“. Von vorn herein sagte man, dass es keine Linkshänder gäbe Linkshändigkeit sei nur eine Einbildung. Alle im Gleichschritt Marsch!! (Nur die Kinder aus den „besseren“ Familien waren etwas gleicher).Diese Umpolung von Links nach Rechts war wohl (auch wenn es damals nicht einmal körperlich sehr weh tat)die Gewalt, die mein Leben vollkommen aus den Fugen brachte .Mein Rhythmusgefühl wurde zerstört .Mein Rhetorisches Denken wurde zerstört .Mein Selbstvertrauen wurde zerstört .Schon damals träumte ich davon wegzufliegen aus dieser Welt in der es nichts gab außer Gewalt und Höher Weiter Schneller .
1976-1982 Hauptschule in Leverkusen.Die Lehrerin in der Grundschule (die, die mir das Rechtsschreiben beigebracht hat) musste wohl zugeben, dass ich ,trotzdem ich ein Arbeiterkind war, das Zeug zum Gymnasium hätte. Jedoch empfahl man mir die Hauptschule, denn mein Leistungen schwankten (defektes Rhythmusgefühl),mein Deutsch wäre nicht so gut(vor allem die Rhetorik-Typisch Proletarierkind!)und mit meinem mangelndem Selbstvertrauen hätte ich es doch in der Hauptschule viel leichter. In der Hauptschule kamen die zusammen, die nicht mehr viel vom Leben zu erwarten hatten, auch wenn es uns damals nicht so sehr bewusst war. Schon in der 5. Klasse wurde geraucht ,gesoffen und gekifft .Ich fing aber erst in der 8.Klasse damit an. Ich kam in die Pubertät und merkte ganz schnell, dass ich mich zum Außenseiter entwickelte. Ich hatte andere Haare, andere Kleidung und ein anderes Selbstbewusstsein .Im Sport war ich es immer ,den keiner in der Mannschaft haben wollte .Es war mir aber mittlerweile egal was andere Denken. Ich hatte keinen Bock mehr auf höher weiter schneller. Ganz schlimm war die 10.Klasse.Wenn ich mal da war, dann meistens betrunken. Ich wollte mich keinen Zwängen mehr unterstellen. Ich wollte frei sein .


BERUFSPRAXIS
1982-1983 Ihre Position :Arsch zum Bier Holen !Name der Firma: Irgendein
kleiner Fernsehladen in der besten Wohngegend von Leverkusen(da wo die „besseren“ Leute wohnen). Die Stelle habe ich auch nur bekommen ,weil ich ziemlich viel Ahnung von Elektronik hatte.
Aber die liebe Kundschaft hat wohl gemerkt, dass da ein Proletarier
die Fernseher austrägt ..Die Probezeit war nach genau 3 Monaten beendet. Ich stand ungelernt auf der Strasse.
1983 Ich hielt mich durch Gelegenheitsjobs (für 6 DM Brutto/ Stunde im Straßenbau oder Akkordarbeit für 5DM pro Stunde)über Wasser .Wenigstens hatte ich dann Ruhe vor meinen Eltern ,die ständig am rummeckern waren ich solle eine anständige Arbeit suchen .Damit ich auch was fürs Leben lerne, meldete man mich bei der Tanzschule an . Das war wohl mit das mieseste Erlebnis in meinem Leben ,denn von etwa 300 Teilnehmern war ich derjenige,
der keine Tanzpartnerin abbekam .Meine Eltern haben es wohl gut gemeint, jedoch nicht bedacht dass nur „bessere“ Leute diesen Tanzkurs besuchen .Ich ,als Sohn eines Arbeiters (und dazu noch ungelernt! ein Totalversager!) und ohne Rhythmus im Blut ,viel mal wieder durch das Netz der „Normalität“.

Ich hatte genug gesehen von der Welt .Ich beschloss meinem Leben ein Ende zu setzten. Da war kein Selbstmitleid. Da war nur diese Einsamkeit .Ich schrie vorher noch mehrmals ganz laut um Hilfe, doch niemand hörte mich .Ich räumte mein Sparbuch und mein Konto leer, denn ich wollte dieser Welt keinen Pfennig schenken .Mit meiner gesamten Barschaft von etwa 110 DM
Ging ich noch einmal gut Essen, kaufte mir für 50DM Schlaftabletten und betrank mich. Dann trank ich diesen ekelhaft bitteren Mix aus etwa 200 Schlaftabletten und schlief NICHT ein. Diese Tabletten ( der Name war Betadorm)bewirkten mehr, dass ich grauenhafte Halluzinationen bekam.
Ich lief durch die weihnachtlich geschmückte Stadt und wurde von riesigen Spinnen und miesen Typen verfolgt .Irgendwann stand ich auf diesem Hochhaus
und hatte einfach nur Angst davor unten aufzuschlagen und noch zu Leben.
Dann waren da wieder diese miesen Typen ,die mich verfolgten.
Irgendwann wurde eine Polizeistreife auf mich aufmerksam, die den „bekifften“ Nichtsnutz zurück in das Arbeiterviertel brachten wo er hingehörte .Für meine Eltern brach eine Welt zusammen. Für sie war das
ein erster Hilferuf von mir, obwohl meine Hilferufe längst verhallt waren .
In dieser Dezembernacht 1983 ist ein großer Teil von mir gestorben.
Das was mich am Leben hielt waren meine Eltern, denen ich wohl ziemlich weh getan habe. Es ist gar nicht so einfach schmerzfrei zu gehen.
Mit der Aussicht, wenn es noch einmal schief geht in eine Irrenanstalt zu landen, verflog sich ganz schnell der Gedanke Schluss zu machen und ich
beschloss einfach abzuwarten was da noch so kommt.
Meine Eltern besorgten mir eine Lehrstelle als Elektroinstallateur .Aber ich war so ein Nichtsnutz ,der einfach keinen Bock sich noch den Arsch aufzureißen.
1984 Obwohl ich fachlich ziemlich unterfordert war. Einige „Kollegen“ haben mir ziemlich Übel mitgespielt .Ich habe sehr gelitten. Einer dieser Kollegen verursachte einen Unfall ,bei dem mir am 22.Mai der linke Fuß bis zur Sohle abgetrennt wurde .Das mit dem Elektroinstallateur hatte sich erledigt .Von nun an kümmerte sich die zuständige Berufsgenossenschaft um mich.
1985 Ich begann eine Umschulung zum Technischen Zeichner der Fachrichtung Elektrotechnik. Vor der Ausbildung versprach man mir bei bestehen der Abschlussprüfung eine Übernahme. Ich setzte alle Energie die ich hatte in diese Chance. Der Job war wirklich OK und machte
Spaß. Es schien als sei meine Odyssee beendet. Ich durchlief mehrere Zeichenbüros im Bayerwerk und bekam hervorragende Zwischenzeugnisse.
Ganz anders als ein Mitauszubildender, der es vorzog den ganzen Tag Kaffee trinken zu gehen.
1988 Für die Fächer ,in denen ich in der Berufsschule Schwierigkeiten hatte, nahm ich mir private Nachhilfestunden. Ich bestand die Abschlussprüfung vor der IHK in Köln mit der Bestnote. Nur mit der versprochenen Übernahme bei Bayer wurde es nichts. Mittlerweile eingesetzte CAD Systeme hatten die Anzahl der offenen Stelle auf 1 reduziert, und diese Stelle bekam natürlich der andere Auszubildende(der Kaffeetrinkende),dessen Vater ein ziemlich hohes Tier im Werk Leverkusen war und nicht ein einfacher Schichtarbeiter wie mein Vater. Ich hatte eine Superausbildung für einen Beruf ,den es nicht mehr gab. Ich stand wieder auf der Strasse .Ich hielt mich mit Taxifahren über Wasser.
1993-2001 Das Taxifahren ist ganz OK. Wenigsten ein bisschen was Sinnvolles, was nützliches tun .Und sich nicht rechtfertigen müssen , wenn man mal keine Lust hat
Morgens aufzustehen .Ich beschoss mich selbstständig zu machen und kaufte mir ein Taxi. Die erste Zeit war sehr hart und ich Arbeitete bis zu 18 Stunden pro Tag um meine Schulden abzutragen. Aber ich wusste das erste mal in meinem Leben wofür ich das mache .Was mir nur bis heute sauer aufstößt ist die Tatsache, dass ich von 1976 bis 1990 –genau 14 Jahre lang umsonst gelernt und gearbeitet habe. Ich bin in dieser Zeit absolut mies behandelt ,ausgenutzt und verspottet worden. Diese Zeit hat mich geprägt und hat mich zu dem gemacht was ich jetzt bin: Ein Taxifahrer, der Nachts
betrunkene und „bessere“ Leute nach Hause fährt. An die Zukunft denke ich seit 1983
nicht mehr .Es ist mir ziemlich egal was Morgen ist .Wichtig für mich ist nur, dass ich in den Spiegel schaue und einen Mann sehe der es geschafft hat so frei wie möglich zu
bleiben und sich traut niedriger, näher und langsamer zu gehen als andere. Trotzdem muss ich damit Leben ein absoluter Verlierer dieser Gesellschaft zu sein. Eigene Kinder möchte ich keine. Die Welt ist dreckiger, ärmer und brutaler geworden .Wir steuern auf den totalen Kollaps zu. Das möchte ich keines meiner ungeborenen Kinder antun .Sie würden mir irgendwann vorwerfen sie in ein kaputte Welt gesetzt zu haben und sie hätten damit absolut Recht. Noch heute leide ich sehr unter den Erlebnissen meiner Kindheit und Jugend . Jede Kritik an mir und meiner Person nehme ich mir ziemlich zu Herzen und verfalle in schweren Depressionen .Gott hat es nicht gut mit mir und meiner Wirkung auf andere Menschen gemeint .Deswegen habe ich mich seit etwa 10 Jahren total zurückgezogen. Ich fahre nur noch Nachts und habe keine sozialen Kontakte mehr .Im Moment muss ich im Fernsehen das Propagandamaterial des 3.Weltkrieges anschauen und fühle irgendwie eine Vorfreude auf den Tag ,an dem ich nicht mehr aufwachen werde. Ich könnte deswegen zum Psychiater rennen der mir dann Antidepressiva verschreibt um mich wieder ruhig zu stellen .Mal schauen, vielleicht ist es ja ein Klassenkamerad aus meiner Grundschulzeit ,der mehr Glück als ich im Leben hatte.

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