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AktuellPolitikInland Im Gespräch: Jürgen Rüttgers „Das Konzept heißt: Leistung muss sich lohnen“ 08. Januar 2010 Hartz IV sei in sich nicht stimmig, sagt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im F.A.Z.-Interview. Auf Schritt und Tritt werde gegen das Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft verstoßen. Wenn das korrigiert sei, solle man der Sache auch einen neuen Namen geben. Herr Ministerpräsident, in Düsseldorf arbeitet die schwarz-gelbe Koalition sehr viel geräuschloser als in Berlin. Woran liegt das? Was machen Sie anders? Rüttgers fordert eine Grundrevision der Hartz-Gesetze Wir reden viel miteinander, wir wissen, was wir wollen, und wir arbeiten zielgerichtet. Das ist das, was ich mir auch von der Koalition in Berlin für den Neustart wünsche - nach dem Dreikönigstreffen und nach Kreuth. Ist die Koalition in Berlin bis jetzt hilfreich gewesen für Sie? Nach wie vor finde ich es gut, dass in Berlin eine schwarz-gelbe Koalition regiert, gerade jetzt. Wir haben noch ein paar harte Monate vor uns, aber dann die Chance, in diesem Jahr die Wirtschaftskrise zu überwinden. Schwarz-Gelb hat für den Aufbruch das richtige Angebot mit einer modernen Wirtschaftspolitik. Sie haben einmal davon gesprochen, es sei eine Lebenslüge, dass Steuersenkungen automatisch zu mehr Arbeitsplätzen führten. BlätternZum Thema Hartz IV - Mythen der Jahrhundertreform Rüttgers für Grundrevision von Hartz IV Mehr Unterhalt für Trennungskinder Koalitionskrach: „Manchmal rumpelt es etwas“ Schwarz-gelbe Koalition: Nur Jamaika wäre noch zerstrittener Danke, dass Sie mich korrekt zitieren. Ich bleibe auch dabei: Wenn Sie nur die Steuern senken, dann entstehen noch keine neuen Arbeitsplätze. Das können Sie übrigens im Moment in der Hotellerie beobachten. Die FDP tut aber so, als gebe es da einen direkten Zusammenhang. Wie weit werden Sie denn da noch mitgehen? Wir haben eine klare Verabredung in der Koalitionsvereinbarung. Wir wollen ein einfacheres Steuerrecht haben. Wir haben aber auch einen Finanzvorbehalt in der Koalition verabredet. Jetzt kann es nicht sein, dass die eine Seite - etwa Frau Homburger - sagt, die Entlastungen kommen unabhängig von der Finanzsituation, und die andere Seite sagt, es gehe gar nichts. Wenn Frau Homburger Steuerentlastungen ohne Gegenfinanzierung und ohne Neuverschuldung hinbekommt, schlage ich sie sofort für den Nobelpreis für Wirtschaft vor. Was geht, das wissen wir erst, wenn die nächsten Steuerschätzungen vorliegen. Sind Sie froh, dass die Steuerschätzung erst im Mai kommt? Ich bin froh, dass das vor der Landtagswahl ist, damit dieses dumme Gerede aufhört, dass vor der Wahl nicht gesagt würde, was danach getan wird. Ich habe nie gefordert, dass es bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen einen Stillstand in der Politik geben müsse. Das würde mir auch eher schaden als helfen. Sie haben gefordert: Keine Zumutungen! Zumutungen wird es auch nicht geben. Es wird eine vernünftige Politik geben. Die SPD hat ja von Anfang an behauptet, mit Rüttgers käme der soziale Kahlschlag in Nordrhein-Westfalen. Nach fünf Jahren ist klar: Wir haben den Haushalt konsolidiert - das hat auch jeder zu spüren bekommen -, aber es hat keine sozialen Verwerfungen gegeben. Gleichwohl liegt Ihr Haushalt für 2010 nur knapp unter der rot-grünen Rekordverschuldung. Nun wollen Sie die Schuldenbremse auch in die Landesverfassung übernehmen. Wie sieht Ihr Konsolidierungsweg aus? In Nordrhein-Westfalen treten wir als Landesregierung für die Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung ein, weil wir nicht auf Dauer mit dieser hohen Neuverschuldung leben wollen. Wir haben von 2005 bis 2008 die Neuverschuldung fast auf null zurückgefahren. Das heißt, wir haben bewiesen, dass das geht, und wollen das nach der Landtagswahl auch wieder anpacken. Jetzt schon werden die Steuergeschenke von Bund und Ländern von den Kommunen durch höhere Gebühren wieder eingesammelt. Wie wollen Sie dem in Nordrhein-Westfalen begegnen? Die Kommunen sind in einer schwierigen finanziellen Situation, genauso wie das Land und der Bund. Das hat vor allem mit dem Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen zu tun. Ich hoffe, das ändert sich, wenn wir aus der Krise herauskommen. Aber es gibt auch ein paar grundsätzliche Fragen zu diskutieren. Zum Beispiel die Kosten der Unterkunft im Rahmen von Hartz IV. Die sind durch Bundesgesetz veranlasst und sind zu einer ganz großen Belastung der kommunalen Haushalte geworden. In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns sehr für die kommunalen Finanzen eingesetzt. Der Bund, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände werden noch in diesem Jahr beginnen, über die strukturellen Probleme der kommunalen Finanzen zu reden. Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass wir die Einrichtung dieser Dialogplattform erreicht haben. Ist Ludwig Erhard noch zeitgemäß? Ja. Was hätte er wohl zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesagt? Sicher hätte er ein paar ordnungspolitische Bemerkungen gemacht. Er hätte aber auch gewusst, dass in Koalitionen Kompromisse verabredet werden, von denen nicht alle Partner gleichermaßen überzeugt sind. Die Logik bei der Steuerermäßigung für Übernachtungen erschließt sich auch mir nicht. Für Erhard war schon Adenauers Sozialpolitik - etwa die Rentenformel - unverantwortlich. Für Sie ist sogar Gerhard Schröder zu unsozial gewesen. Ja, ich war einer der Ersten, die gesagt haben, dass Hartz IV nicht funktioniert. Dafür habe ich sehr viel öffentliche Schelte bekommen. Was genau hatten Sie daran auszusetzen? Nicht die Idee, die Sozialsysteme zusammenzulegen - die war richtig. Und die Tatsache, dass wir sie jetzt bei den Jobcentern wieder ein Stück auseinandernehmen, halte ich für einen bedauerlichen Rückschritt. Der Hauptfehler war, dass eines der tragenden Ordnungsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, nämlich das Leistungsprinzip, mit Füßen getreten wurde. Das führte dazu, dass alle sich ungerecht behandelt fühlen, obwohl es Milliarden mehr kostet. Und deshalb ist es auch falsch, jetzt die Gelder der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu kürzen. Von Ihnen kamen viele einzelne Korrekturvorschläge, aber nie ein Gesamtkonzept. Das Gesamtkonzept war immer: Leistung muss sich lohnen. Wenn jemand lange einzahlt in die Arbeitslosenversicherung, muss der mehr bekommen als der, der nur kurze Zeit eingezahlt hat. Wer etwas fürs Alter zurückgelegt hat, den kann man nicht zwingen, das zuerst alles aufzubrauchen, um am Schluss in Altersarmut zu landen - genau wie der, der nie was zurückgelegt hat. Das kann nicht richtig sein. Oder nehmen Sie die Alleinerziehenden: Mehr als die Hälfte von ihnen bekommt drei Jahre ununterbrochen Leistungen. Eigentlich sind das ja dann Langzeitarbeitslose. In diese Kategorie gehören sie aber nicht hinein, weil sie dem Arbeitsmarkt nur vorübergehend nicht zur Verfügung stehen. Die Vorschriften der Hartz-Gesetze sind nicht stimmig. Deshalb brauchen wir eine Grundrevision. Was schlagen Sie vor? Wir haben in Deutschland 2,2 Millionen Kinder in Einelternfamilien. In Nordrhein-Westfalen ist die Quote zwischen 1996 und 2007 von 10,5 auf 14,5 Prozent gestiegen. In neun von zehn Fällen handelt es sich um alleinerziehende Mütter. Und vierzig Prozent aller alleinerziehenden Mütter leben von Hartz IV. Alleinerziehende Mütter tragen mit das größte Armutsrisiko in Deutschland. Es kann nicht sein, dass die Entscheidung fürs Kind bestraft wird. Solange wir das nicht geregelt bekommen, ist dieses Land nicht kinderfreundlich. Wir brauchen mehr Kindertagesstätten, mehr Ganztagsplätze und mehr Hilfen beim Wiedereinstieg in den Beruf. In Nordrhein-Westfalen haben wir viel für die Kinderbetreuung getan. Aber da muss auch überall mehr geschehen. Auch in den Fällen, wo die Väter nicht für den Unterhalt aufkommen, müssen wir etwas tun. Derzeit wird der Unterhaltsvorschuss maximal für 72 Monate und nur bis zum zwölften Lebensjahr gewährt. Die neue Bundesregierung will das bis zum 14. Lebensjahr verlängern, das begrüße ich. Aber das reicht nicht. Ich wünsche mir mittelfristig eine Verlängerung bis zum 18. Lebensjahr. Am besten wäre eine Regelung analog zum Kindergeld. Wer sich für Kinder entscheidet, darf nicht zur Armut verurteilt werden. Wo sehen Sie noch Anpassungsbedarf? Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens setzt sich seit längerem dafür ein, dass die Leistungen für Kinder bedarfsgerecht ermittelt werden. Jetzt werden dafür nur Prozentsätze der Leistungen für Erwachsene angesetzt. Wer Kinder hat, der weiß zum Beispiel, dass sie mit zwölf, dreizehn Jahren häufiger einen Wintermantel brauchen. Wann soll die Generalrevision der Hartz-Gesetze kommen? Grundrevision, bitte. Ich habe ein bisschen abgerüstet, um es anderen leichter zu machen. Ich glaube, die kommt in den nächsten Monaten Schritt für Schritt. Wir müssen uns das Ganze noch einmal von den tragenden Prinzipien her anschauen, und dann, wenn ein besseres und sozialeres System beschlossen ist, sollte man der Sache auch einen neuen Namen geben. Wie weit soll das gehen? Es geht mir, kurz gesagt, um das Schonvermögen, um kindergerechte Hartz-IV-Sätze, um eine Neuregelung bei den Kosten der Unterkunft und um Hinzuverdienstmöglichkeiten, damit der Ausstieg aus Hartz IV in den Arbeitsmarkt besser gelingt. Das Wichtigste ist, dass das Prinzip "Leistung muss sich lohnen" wieder deutlicher wird im System. Haben wir nicht längst das bedingungslose Grundeinkommen - nur mit einer riesigen Bürokratie, die das mit hunderterlei Bedingungen verknüpft? Es gehört auch zur Gerechtigkeit, dass man nicht einfach bedingungslos Staatstransfers organisiert, egal ob die Leute über ein größeres Vermögen verfügen oder nicht oder noch andere Ansprüche da sind. Sie sind ja auch ein Freund des Bürokratieabbaus. Wie weit soll das noch gehen, dass sich Leute, die auf Unterstützung angewiesen sind, in ihre privatesten Verhältnisse hineinleuchten lassen müssen? Wäre es nicht besser, die Grundversorgung bedingungslos zu gewähren? Sie wollen auf das Bürgergeld hinaus. Das haben wir in den Koalitionsverhandlungen diskutiert. Ein Problem ist, dass wir auf absehbare Zeit das Geld dafür nicht haben werden. Die von Selbstzweifeln geplagte CSU hat Sie eingeladen, in Kreuth über die Zukunft der Volksparteien zu sprechen. Was haben Sie ihr zu sagen? Es war der Wunsch der CSU, gemeinsam über das Thema zu diskutieren. Wir merken ja alle, dass das Parteiensystem in Bewegung geraten ist. Die SPD ist keine Volkspartei mehr. Die Union ist die einzige, die es noch gibt. Aber sie muss auch kämpfen, dass sie in allen Schichten verankert bleibt. Dazu gehört vor allem, dass wir zu einer Wiederbelebung des Politischen kommen, auch an der Parteibasis. Wenn ich heute Mitglieder ehre für 50 oder 60 Jahre CDU-Mitgliedschaft und ich sie frage, warum sie damals eingetreten sind, dann sagen sie: wegen grundsätzlicher Überzeugungen. Für die Leute ist es ungeheuer wichtig, dass der Markenkern, also eine konservative, liberale, christlich-soziale Union, deutlich bleibt. Dass klar ist, dass wir keine materialistische, sondern wertegebundene Politik vertreten. Dass wir uns auch öffnen für neue Formen der Teilhabe und neue Ideen und neue Projekte. In Nordrhein-Westfalen bieten wir Dialogforen an, in denen sich Menschen, die aus beruflichen Gründen keine Zeit haben, sich in einer Partei zu engagieren, etwa über Gesundheitspolitik austauschen können. Wir waren die Ersten, die ein deutsch-türkisches Forum hatten. Darauf sind wir ganz stolz. Jetzt gibt es solche Foren auch für Russlanddeutsche, für Soldaten. Die Parteien müssen wieder, wie es das Grundgesetz formuliert, an der politischen Willensbildung des Volkes teilnehmen, statt nur in Parteigremien, auf Parteitagen und in Fraktionen unter sich zu diskutieren. „Die SPD ist keine Volkspartei mehr. Die Union ist die einzige, die es noch gibt. Aber sie muss auch kämpfen, dass sie in allen Schichten verankert bleibt.” Das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten führten Reiner Burger und Stefan Dietrich. Text: F.A.Z. Bildmaterial: dpa, Edgar Schoepal © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2010. Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte erwerben Verlagsinformation Sie möchten Zuschuss zur Ihrer neuen Brille? Vergleichen Sie jetzt online einfach und bequem verschiedene Krankenzusatzversicherungen und sparen Sie bares Geld! F.A.Z. Electronic Media GmbH 2001 - 2010 Dies ist ein Ausdruck aus www.faz.net. |